Digitale Familienunternehmer?

Weichen für die Zukunft stellen

von Dr. Julian Dörr

Wir sehen die Digitalisierung grundsätzlich positiv und als große Chance, um auch in Zukunft Wohlstand zu sichern und die Lebensqualität weiter zu steigern. Um jedoch diese Möglichkeiten nutzen und Risiken minimieren zu können, benötigen wir einen klugen Ordnungsrahmen: Digitalisierung muss gestaltet werden. Internet of Things, Big Data, New Work und Disruption sind einige Schlagwörter, die die Digitalisierung charakterisieren und medial stark rezipiert werden. Insbesondere wird derzeit thematisiert, wie Deutschland die erste Welle der Digitalisierung – die Welt der großen Consumerplattformen und sozialen Netzwerke – verpasst habe.

Dr. Julian Dörr

Für die zweite Phase der Digitalisierung jedoch wird sogar das Potenzial gesehen, führend zu sein. Diese Phase der sogenannten Industrie 4.0 wird geprägt sein von der Verknüpfung neuer Technologien und datengetriebener Geschäftsmodelle mit der industriellen Wertschöpfung der „Old Economy“. Deutschland bringt aufgrund der reichen produktionstechnischen Erfahrungen und der Technologieführerschaften in vielen Bereichen gute Voraussetzungen mit, um seine Industrie in das 21. Jahrhundert zu transformieren.

Die Digitalisierung ist jedoch kein Selbstläufer. Insbesondere für den Mittelstand stellt sie eine Herausforderung dar, denn sie hinterfragt tradierte Geschäftsmodelle: Wer wettbewerbsfähig bleiben möchte, muss sein Portfolio erweitern, seinen Kunden digitale Dienstleistungen und intelligente Produkte anbieten und die Vertriebskanäle überdenken. Die Unternehmen sind also gefordert, disruptive Innovationen zu entwickeln, um sich im Wettbewerb mit Start-ups und der internationalen Konkurrenz zu behaupten.

Wie steht es um die Modernisierungsprozesse bei deutschen Familienunternehmen?

Für empirisch belastbare Aussagen kann auf verschiedene Indices zurückgegriffen werden: Einer davon ist der Digitalisierungsindex Mittelstand der Deutschen Telekom. Er misst den Digitalisierungsgrad anhand verschiedenster Kriterien – vom Betrieb einer eigenen Unternehmens-Website über die Nutzung von Big Data bis hin zur Entwicklung komplett neuer digitaler Produkte und Services. Demnach erhöht sich der Digitalisierungsgrad mittelständischer Unternehmen stetig. Über alle Branchen hinweg ist er im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

Für Familienunternehmen ergeben eigene Erhebungen unter unseren Mitgliedern ein ähnliches Bild: Sowohl das Bewusstsein, Strategien entwickeln zu müssen, als auch die tatsächliche Umsetzung von Maßnahmen zur Digitalisierung nehmen tendenziell zu. Auch der KfW-Digitalisierungsbericht Mittelstand schlussfolgert ein zunehmendes Fußfassen der Digitalisierung im Mittelstand.

Dennoch ist zwischen kleinen und großen Mittelständlern bei den Ausgaben für die Digitalisierung eine Kluft zu erkennen: Große Firmen mit 50 und mehr Beschäftigten investieren durchschnittlich rund das 24-Fache von kleinen Unternehmen. Dies gibt Anlass zur Sorge, dass sich der Mittelstand in stark digitalisierte große und bei der Digitalisierung abgehängte kleine Unternehmen spalten könnte.

Dennoch zeichnet sich insgesamt ein optimistisches Bild. Zwar stehen wir bei der digitalen Transformation erst noch am Anfang, jedoch sind die Familienunternehmer sensibilisiert und sie wissen meist um die Wichtigkeit der Thematik. Denn Digitalisierung zahlt sich für Unternehmen aus: Prozesse können vereinfacht, die Service- und Produktqualität verbessert und damit das Betriebsergebnis gesteigert werden. Dennoch dürfen wir uns nicht auf dem Erreichten ausruhen, sondern müssen in vielen Bereichen aktiver und besser werden.

Kein „digitales Wirtschaftswunder“ ohne Verbesserung der Rahmenbedingungen

Während wir also bei den Unternehmen Fortschritte bei der Digitalisierung beobachten können, ist das Bild bei der öffentlichen Hand deutlich differenzierter. So hinkt Deutschland etwa bei der Verwaltungsmodernisierung und dem Netzausbau spürbar hinterher. Deutschland ist beim DESI („Digital Economy and Society Index“) mit Platz 12 von 28 leider nur im Mittelfeld zu finden. Der DESI, der regelmäßig von der EU-Kommission erhoben wird, misst relevante Faktoren zu Europas digitaler Leistung und Wettbewerbsfähigkeit. Bestandteile sind u. a. die Abdeckung und Verfügbarkeit digitaler Infrastruktur („Connectivity“) und die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung („Digital Public Services“).

„Sowohl das Bewusstsein, Strategien entwickeln zu müssen, als auch die tatsächliche Umsetzung von Maßnahmen zur Digitalisierung nehmen tendenziell zu.“

Dr. Julian Dörr

Soll die Digitalisierung also gelingen und will Deutschland an alte Erfolge anknüpfen, dann muss sich der Staat schleunigst selbst digitalisieren und den Unternehmern bessere Rahmenbedingungen schaffen. Ansatzpunkte für eine kluge Wirtschaftspolitik sind die zentralen Digitalisierungshemmnisse, wie etwa unzureichende IT-Kompetenzen, die mangelnde Qualität der Netzverbindung, Probleme bei der Anpassung des Arbeitsrechts und ungelöste Fragen des Umgangs mit Daten und dem Datenschutz.

Aus Unternehmersicht sind neben den hohen Investitionskosten und der Cybersicherheit darüber hinaus auch die Gewinnung des für die Umsetzung notwendigen Fachpersonals und ausreichende IT-Expertise wesentliche Herausforderungen der Digitalisierung.

Wollen wir die Zukunft gestalten und für ein „digitales Wirtschaftswunder“ der 2020er-Jahre sorgen, dann müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Deutschland benötigt eine kohärente Digitalpolitik statt punktueller und symbolischer Interventionen. Dies erscheint umso wichtiger, als dass sich Europa angesichts des technologischen Systemwettbewerbs mit China auch mit der Frage nach digitaler Souveränität beschäftigen muss – der Umgang mit Huawei im 5G-Netz ist dabei nur die Spitze des Eisberges.

Wir sollten daher den Menschen und Unternehmern mehr zutrauen und ihre Selbstverantwortung stärken. Der Staat muss für die anstehende Transformation weder die Dax-Konzerne noch die Familienunternehmen mit Fördermitteln unterstützen. Gleichwohl trägt er die Verantwortung dafür, gute Rahmenbedingungen zu schaffen und regulatorische Hürden zu beseitigen. Der familiengeführte Mittelstand hat Mut, Kreativität und Leistungsbereitschaft – lassen wir ihn machen. //


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