Intelligent vernetzte Geräte als Basis neuer Geschäftsmodelle
von Michel Achenbach
Das Internet of Things kann Leben retten – doch der Reihe nach. Bereits seit 2018 müssen Automodelle mit einer EU-Typengenehmigung über eine eCall-Funktion verfügen. Das elektronische Notrufsystem soll nach Unfällen automatisch den Hilferuf übernehmen. Der technologische Fortschritt soll jährlich 2 500 Menschenleben in Europa retten. Für Motorräder gilt eine solche Pflicht noch nicht – obwohl Unfälle für Biker häufig schwerwiegende Folgen haben können. IoT-Lösungen können hier bereits heute Abhilfe schaffen.

Längst gehört eine Vielzahl von Sensoren zur Standardausstattung motorisierter Zweiräder. Geschickt eingesetzt und clever miteinander verbunden, können sie zur lebensrettenden IoT-Infrastruktur werden. Richtig verknüpft bilden Beschleunigungs-, Schräglagen- und Kippsensoren ein sogenanntes schlafendes eCall-System. Registrieren die Sensoren ein Unfallereignis oder einen Sturz, aktiviert sich das System und übermittelt mithilfe des Mobilfunks oder der aktuellen GPS-Daten alle nötigen Informationen an die nächstgelegene Leitstelle. Besonders Alleinreisende könnten im Ernstfall von der Technologie profitieren.
Schon heute werden solche und ähnliche Systeme von unterschiedlichen Herstellern angeboten. Eine gesetzliche Pflicht – analog zum Pkw – besteht bisher jedoch nicht. Doch auch abseits vom Straßenverkehr bietet das Internet of Things eine Vielzahl von Anwendungsfällen, die zwar nicht alle Leben retten, dafür jedoch einträgliche Geschäftsmodelle versprechen. Auch kleine und mittlere Unternehmen können von diesen Entwicklungen profitieren.
Eine Technologie erschließt neue Geschäftsfelder
Der Mittelstand stellt mit 99 Prozent nahezu alle Unternehmen in Deutschland. Unter ihnen finden sich über 1 300 Hidden Champions, die in ihren Tätigkeitsfeldern als Marktführer und Innovationstreiber gelten. Zugleich beschäftigen KMU hierzulande knapp 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig Angestellten. Trotzdem steht das Erfolgsmodell Mittelstand vor großen Herausforderungen. Internationale Wirtschaftskrisen, eine sich eintrübende Konjunktur, aber auch der Fachkräftemangel sorgen dafür, dass bisherige Geschäftsmodelle und Prozesse überdacht und neu konzipiert werden müssen.
Die Vernetzung intelligenter Geräte und Anlagen wird schon seit längerem zur Optimierung betriebsinterner Prozesse eingesetzt. Das Industrial Internet of Things stellt genau diese Prozesse in den Mittelpunkt seiner Anwendungskonzepte und nutzt die generierten Maschinendaten, um Abläufe stetig zu verbessern. Remote Controlling und Remote Monitoring ermöglichen die Steuerung und Wartung von Anlagen aus der Ferne. Gleichzeitig ermöglichen die erfassten Daten auch die sogenannte Predictive Maintenance. Durch sie lassen sich notwendige Instandhaltungs- und Reparaturmaßnahmen antizipieren und bereits im Vorfeld in die laufenden Produktionsprozesse einplanen.
„Der Mittelstand stellt mit 99 Prozent nahezu alle Unternehmen in Deutschland. Unter ihnen finden sich über 1 300 Hidden Champions, die in ihren Tätigkeitsfeldern als Marktführer und Innovationstreiber gelten.“
Michel Achenbach
Neben der Vorhersage von Instandhaltungsarbeiten ermöglichen die verfügbaren Daten auch den optimierten Geräteeinsatz. Im Zuge dessen lassen sich teils erhebliche Energie-Einsparungen realisieren. In Zeiten steigender Energiepreise und knapper werdender Ressourcen, ergibt sich dadurch ein spürbarer Mehrwert. Gleichzeitig werden die anfänglichen Investitionskosten durch gesunkene Energie-Aufwendungen häufig in kürzester Zeit wieder eingespielt.
Diese und ähnliche IoT-Anwendungen werden auch als Internet of Things der ersten Generation (IoT 1.0) bezeichnet. Längst bildet sich ein weiterer Markt rund um die vernetzten Geräte im betrieblichen Umfeld heraus. Daten zählen zu den wertvollsten Ressourcen des digitalen Zeitalters. Sie unterstützen nicht nur die Optimierung bestehender Geschäftsmodelle. Sie ermöglichen auch den Aufbau vollkommen neuer und zugleich äußerst profitabler Produkte.
So nutzen schon heute einige deutsche Autobauer ihre Fahrzeugflotten und die daraus entstehenden Daten für neue Betätigungsfelder. Durch IoT lassen sich neue Carsharing-Modelle aufbauen, die auch den urbanen Großstädter von den Vorzügen individueller Mobilität überzeugen können.
Neue Geschäftsmodelle erfordern einen genauen Plan
Neue Geschäftsmodelle, die auf Grundlage von IoT-Infrastrukturen entstehen, können zahlreiche Formen annehmen. Sie können klassische Produktdifferenzierungen sein, bei denen das Sortiment mithilfe technologischer Innovation erweitert wird. Sie können allerdings genauso gut auch zu einer Diversifikation des Produktbestands führen. In diesem Fall würde beispielsweise ein Zulieferbetrieb künftig auch intelligente Plattformen zum Management und Monitoring intelligenter Anlagen in sein Produktportfolio aufnehmen. Dadurch entwickelt sich ein Hardware-Hersteller auch zum Anbieter von Software-Lösungen.
„Sowohl KMU als auch Hidden Champions konkurrieren mit namhaften Großkonzernen in attraktiven Ballungsräumen.“
Damit sich diese neuen Geschäftsmodelle tragen, bedarf es einer guten Vorbereitung. Eine Infrastruktur, verfügbare Daten und die Möglichkeiten zur gezielten Auswertung bilden das Fundament für den Aufbau neuer Tätigkeitsfelder. Um diesen Aufbau möglichst reibungslos zu gestalten, sollte das Projekt einem stringenten roten Faden folgen.
- Probleme und Lösungswege identifizieren: Erfolgreiche Produkte bieten Lösungen für existierende Problemstellungen. Ein Beispiel dafür ist der beschriebene eCall für Notrufe. Damit ein tragfähiges Geschäftsmodell entwickelt werden kann, muss ein konkretes Problem definiert und in all seinen Facetten beleuchtet werden. Entscheidend ist dabei die Frage, wie sich das umrissene Problem auf Grundlage verfügbarer Daten und Informationen lösen lässt. Erst danach können die nötige Infrastruktur und damit auch das entstehende Produkt genauer bestimmt werden.
- Proof of Concept erstellen: Auf der Grundlage der erstellten Problemdefinitionen und der Beschreibungen des möglichen Lösungswegs gilt es, den Proof of Concept zu erstellen. Die theoretische Machbarkeitsstudie ist integraler Bestandteil der Konzeption. Sie soll zur Risikominimierung beitragen und gleichzeitig die möglichen Marktchancen beleuchten. Erst danach folgt der Aufbau eines MVP – Minimum Viable Product. Das MVP beschreibt das minimal funktionsfähige Produkt. Dieses bildet den Prototyp, mit welchem der beschriebene Lösungsweg real erprobt und optimiert werden kann.
- Mehrwerte und ROI klar kommunizieren: Vor allem die Frage nach der Amortisation ist ein heikler Punkt in der Argumentation rund um Investitionsentscheidungen. Eine Studie ergab, dass meist die IT-Experten in Unternehmen neue IoT-Projekte vorantreiben. Häufig scheitern diese Projekte jedoch bereits während der Argumentation am Veto von Finance- und Controlling-Abteilungen. Tritt der Fall ein, wurden in der Regel die spürbaren Mehrwerte oder der „Return on Investment“ (ROI) nicht klar genug herausgestellt.
- Fachkräftebedarf ermitteln und decken: Komplexe Projekt- und Produktentwicklungen kommen nicht ohne einen gut vorbereiteten Stab umfassend geschulter Spezialisten aus. Auch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle – insbesondere im IoT-Umfeld – bedarf einer guten Personalplanung und interdisziplinärer Teams. Nicht immer finden sich die benötigten Fachkräfte auf dem freien Arbeitsmarkt. Oftmals lohnt allerdings die Qualifizierung eigener, bereits erfahrener Team-Mitglieder für neue Aufgaben. Ihr Vorteil: Sie kennen die eigenen Stärken des Unternehmens, die Bedürfnisse potenzieller Kunden und Partner sowie die Anforderungen des Marktes, in dem sich ihr Unternehmen bewegt.
Kernaussagen
Das IoT ermöglicht den Aufbau eines neuen Geschäftsmodells, der einem stringenten roten Faden folgen sollte:
- Das Geschäftsmodell muss auf Grundlage verfügbarer Daten die Lösung für ein konkretes Problem bieten
- Erstellung eines Proof of Concepts und in der Folge eines Minimum Viable Product
- Klare Kommunikation des ROI, auch um die Finance- und Controllingabteilungen zu überzeugen
- Fachkräftebedarf ermitteln und decken. Die eigene gezielte Aus- und Weiterbildung ist hier der Schlüssel zum Erfolg.
Erst wenn diese Punkte abgearbeitet sind und zufriedenstellende Ergebnisse erreicht wurden, kann der Markteintritt vorbereitet und geplant werden. Auf die theoretischen Ausarbeitungen und praktischen Tests im Kleinen folgt dann die Validierung und Erprobung unter realen Bedingungen. Verlaufen diese Schritte planmäßig, ist das Produkt reif für seinen großen Auftritt, mit dem es sich an den Erwartungen der neuen Kundschaft messen lassen muss.
Für das Gelingen braucht es gutes Know-how
Technologie-Spezialisten sind gefragte Arbeitskräfte. Je nach Spezialisierung, Berufserfahrung und Anforderungsprofilen gelingt es nur schwer, sie für das eigene Vorhaben und Unternehmen zu gewinnen. Vor allem KMU spüren diesen Mangel. Selbst die Hidden Champions finden nicht immer die gewünschten Expertinnen und Experten für ihre geplanten Innovations- und Expansionsprojekte. Sowohl KMU als auch Hidden Champions konkurrieren mit namhaften Großkonzernen in attraktiven Ballungsräumen. So setzt der Mittelstand auf die berufliche Ausbildung, um den eigenen Fachkräftebedarf zu decken – vier von fünf Auszubildenden absolvieren die Lehre in einem kleineren oder mittleren Unternehmen.
In der gezielte Aus- und Weiterbildung eigener Fachkräfte liegt der Schlüssel, um auch künftig erfolgreich agieren zu können. Mit ihrem Wissen, ihrem Erfindergeist und ihrer Loyalität können eigene Team-Mitglieder zum Innovationstreiber im eigenen Unternehmen werden. Häufig werden Neuerungen – etwa der Einsatz von IoT-Lösungen – aus dem Team heraus initiiert und anschließend von der Führungsebene ermöglicht und mitgetragen. Damit diese internen Innovationssprünge jedoch zustande kommen, braucht es eine gute Ausbildung und das nötige Know-how rund um die Technologien der Zukunft. Beides zusammen bildet das Fundament, auf dem sich auch morgen noch erfolgreiche Geschäftsmodelle aufbauen lassen. //